Feierabend-Interview mit Niklas Östberg
Niklas Östberg hat den Essens-Lieferdienst Delivery Hero zu einem globalen Unternehmen gemacht. Wann immer es geht, joggt er – sogar während Telefonkonferenzen. Ein Expertengespräch über Disziplin.
Die Firmenzentrale von Delivery Hero in Berlin-Mitte sieht aus, wie man es sich bei einem Start-up vorstellt. Es gibt einen Getränkeautomaten und Sofas, auf denen junge Menschen mit hippen Frisuren und ihren Laptops sitzen. Firmenchef Niklas Östberg erscheint in Sportklamotten. Vor der Tür beginnt die gemeinsame Joggingtour.
Welt am Sonntag:
Herr Östberg, Sie legen ja ein ganz schönes Tempo vor. Immer so sportlich gewesen?
Niklas Östberg:
Das liegt bei uns in der Familie. Auch meine Schwester und mein Bruder sind begeisterte und gut trainierte Langläufer. Jeder von uns versucht immer, die anderen auszustechen und noch ein bisschen weiter zu kommen.
Welt am Sonntag:
Gehören Sie zu dem Typ Sportler, die immer alles messen müssen? Herzschlag, Schrittzahl, Atemfrequenz?
Nicht mehr so stark wie früher, aber es stimmt schon: Ich mag Statistiken. Ich mag es, alles zu messen, beim Sport wie im Geschäftsleben. Ich will wissen, wie schnell ich bin, wie mein Puls ist, wie weit ich laufen kann, wie leistungsfähig mein Körper ist. Ich mag den Wettbewerb.
Welt am Sonntag: Wie viel Zeit bleibt Ihnen zum Trainieren?
Nicht so viel, wie ich gerne möchte. Vier Tage in der Woche bin ich in Berlin, von montagmorgens bis donnerstagabends. An diesen Tagen stehe ich früh auf und gehe spät ins Bett, da bleibt normalerweise nicht viel Zeit zum Laufen. Aber manches lässt sich gut verbinden. Manchmal schalte ich mich abends beim Laufen in Telefonkonferenzen mit meinen amerikanischen Investoren ein. Das klappt ganz gut, auch wegen der Zeitverschiebung zu New York. Die sind ja sechs Stunden später dran.
Welt am Sonntag: Aha. Dafür haben Sie Puste?
Na ja, es gibt Themen, da bleibe ich schon lieber im Büro, aber nicht alles ist kritisch.
Welt am Sonntag: Bleibt also noch das Wochenende zum Rennen.
Da fliege ich zurück zu meiner Familie. Meine Frau und meine beiden Kinder wohnen in Zürich. Bei ihnen ist es natürlich nicht sehr populär, wenn ich an den paar Tagen stundenlang laufe. Aber zweimal die Woche, das funktioniert meistens.
Welt am Sonntag: Warum haben Sie Ihre Firma in Berlin gestartet und nicht in der Schweiz oder in Ihrem Heimatland Schweden?
Ich kannte schon vorher eine Menge Leute hier. Außerdem mag ich Berlin, es ist ein guter Platz, um ein Unternehmen aufzubauen.
Welt am Sonntag: Das hört man oft. Aber wieso eigentlich? Weil die Politik da ist?
Darum geht es uns weniger. Es ist mehr diese Gründerszene. Man findet erschwinglichen Büroraum und bezahlbare Wohnungen. Die Internationalität Berlins ist ein weiteres großes Plus – Sie finden hier Menschen aus Griechenland oder Portugal, aus den USA und allen Teilen der Welt. Das alles zusammen macht Berlin sehr attraktiv.
Welt am Sonntag: Wieso braucht Delivery Hero diese Internationalität?
Sie hilft uns, weil wir ein internationales Unternehmen sind. Die Plattform Delivery Hero ist in 33 Ländern aktiv, also brauchen wir Mitarbeiter aus vielen Ländern, die die jeweiligen Sprachen beherrschen, die aber auch mit den unterschiedlichen Kulturen vertraut sind. Wir haben mehr Nichtdeutsche als Deutsche unter unseren Beschäftigten – insgesamt Angehörige von 70 Nationen.
Welt am Sonntag: Ist Ihr Unternehmen noch ein Startup oder schon ziemlich weit auf dem Weg zum Konzern?
Ich bin gerne der Revolutionär in meinem Bereich. Ich mag Leidenschaft, Tempo, Drive, Agilität. Also, wenn ich es mir recht überlege: Wir sind ein Start-up. Aber zugegeben, wir haben Investoren an Bord. Das zwingt uns dazu, dass wir uns in den Prozessen und Verfahren mehr und mehr wie ein etabliertes Unternehmen verhalten. Im Herzen sind wir einfach Unternehmer.
Welt am Sonntag: Muss man wohl auch sein, bei Ihrem Umsatz. Wie hoch ist der genau?
Über unsere Plattform werden mehr als drei Milliarden Euro Umsatz jährlich abgewickelt. Wir erheben natürlich nur einen kleinen Teil davon als Gebühr für uns, aber daraus ergeben sich mehr als 300 Millionen Euro Nettoumsatz.
Welt am Sonntag: Passt die Geschäftsentwicklung zu Ihrem Laufstil, sind Sie also mehr ein Sprinter? Oder mehr ein Langläufer?
Eigentlich komme ich vom Langlauf-Ski. In meiner Heimat Schweden war ich in den 90er-Jahren sogar Mitglied der Jugend-Nationalmannschaft. Mein Traum war damals die Weltmeisterschaft im Ski-Langlauf. Aber an einem bestimmten Punkt habe ich gemerkt, dass das nicht alles für mich sein konnte. Neue Ziele und neue Träume tauchten auf.
Welt am Sonntag: Was war der konkrete Anlass?
Das Dopingthema spielte eine gewisse Rolle. Ich hatte keine Lust darauf, 15 Jahre zu trainieren und dann zu verlieren, weil irgendjemand betrügt. Das war mir zu wenig kontrollierbar.
Welt am Sonntag: In welchem Bereich wollen Sie jetzt Weltmeister werden?
Ich glaube, ein Weltmeister werde ich nicht mehr. Mein Traum jetzt ist es, etwas zu verändern, einen positiven Einfluss auszuüben.
Welt am Sonntag: Hilft die Erfahrung aus dem Sport im Geschäftsleben?
Klar. Die Ausdauer und die Erfahrung, dass man einfach nicht aufgibt – das zählt. Im Leistungssport geht es darum, was man isst, wann man zu Bett geht, wie viele Minuten man schläft, wie lange man trainiert. Und wenn man einmal für zwei oder drei Tage krank ist, kann das die ganze Saison ruinieren. Es geht um die Perfektion, darum, immer das Maximum zu erreichen. Eine Party oder einmal beim Essen Fünfe gerade sein zu lassen, das ist einfach nicht drin. Lust auf einen Burger? Unmöglich – du isst deine Nudeln, weil es das Programm vorsieht. Wenn du ein Unternehmen gründest, sind ganz ähnliche Opfer nötig. Du wirst weniger Kontakt zu deinen Freunden haben. Du wirst deine Kinder wahrscheinlich seltener sehen, als es dir lieb ist. Du wirst weniger schlafen und härter arbeiten, als du gedacht hast.
Welt am Sonntag: Und was macht Spaß daran, sich derart zum Sklaven seines Terminkalenders zu machen?
Es ist einfach der Traum, dass du etwas bewegen kannst.
Welt am Sonntag: Was ist Ihr persönlicher Traum?
Ich habe viele Träume. Aber was wir am besten können, das ist die Verwirklichung dieses Moments, den jeder kennt: Du kommst müde nach Hause, du willst mit deinen Kindern zusammen sein oder nur noch einen Film schauen – und dann kommt jemand und kocht für dich und sagt: Genieße den Abend. Diese tollen Momente schaffen wir millionenfach. Mein Traum ist, diese Momente zu schaffen.
Welt am Sonntag: Ja klar, das ist das Geschäftsmodell von Delivery Hero, aber das ist doch kein persönlicher Traum. Mal ehrlich: Ist es nicht ein viel schönerer Traum, viel Geld zu machen und reich zu werden?
(zögert) Nein, eigentlich nicht, ganz ernsthaft. Für mich ist es ein Wert, bestimmte Ziele im Wettbewerb zu erreichen, besser zu sein als die Konkurrenten, zum Beispiel bei Kundenzufriedenheit, Umsatz und Gewinn mehr zu erreichen als geplant. Das befriedigt mich. Ich habe aber ehrlich gesagt nicht ernsthaft darüber nachgedacht, was viel Geld für mich bedeutet. Eigentlich ist es mir egal. Ich habe keine großen Bedürfnisse. Ich brauche keinen Hubschrauber, keine Yacht und auch nicht das größte Haus in der Stadt. Ich brauche meinen Cappuccino und meine Zeitung …
Welt am Sonntag:… sehr klug …
… und ich brauche ein gutes Kopfkissen. Ich habe nicht mal ein Auto. Ich habe ein Rad, und wenn ich Auto fahren will, dann leihe ich mir eben eines. Und unser Geschäftsmodell basiert gerade darauf, dass man nicht mal eine Küche braucht.
Welt am Sonntag: Ist Delivery Hero nur eine Phase für Sie, und kommt vielleicht irgendwann eine andere?
Es könnte schon der Augenblick kommen, an dem ich sage: Ich habe dieses Projekt so weit gebracht, wie es für mich möglich ist. Ich habe meinen Traum erreicht, und mehr geht nicht. Vielleicht kommt dann jemand anderes, der das Geschäft weiterbringen kann. Ich sage nicht, dass Delivery Hero den Rest meines Lebens ausfüllt. Aber jetzt ist Delivery Hero mein Ding. Ich möchte meinen Kindern sagen können: Seht her, das ist mein Beitrag. Ich habe die Chance, ein Unternehmen aufzubauen, in dem die Menschen gerne arbeiten und das guten Service bietet. Das will ich nicht für ein bisschen mehr Profit verderben. Dann müsste ich mich schämen. Die gute Nachricht ist, dass Firmen, die sehr unternehmerisch geführt werden, die höchsten Werte schaffen. Denken Sie an Google, Facebook oder Amazon. Alle drei werden von Menschen geführt, die langfristig denken. Facebook ist immer von den Märkten gedrängt worden, mehr Geld mit Anzeigen zu verdienen, aber das hat lange gedauert. Aber Mark(Zuckerberg, d. Red.) wollte die Kontrolle behalten, und deshalb ist Facebook jetzt eines der besten Unternehmen.
Welt am Sonntag: Amazon ist für dieses Verhalten auch ein berühmtes Beispiel. Firmenchef Jeff Bezos investiert und investiert, auch wenn es zulasten des Gewinns geht. Ist Bezos ein Vorbild für Sie?
Ja, absolut. Diese Unternehmen und ihre Haltung, einen guten Service allem anderen voranzustellen, das inspiriert mich. Alles andere kommt dann schon von selbst.
Welt am Sonntag: Trotzdem, Investoren erwarten Gewinn nicht erst übermorgen, sondern bald. Und Delivery Hero braucht eine gute Börsenstory. Oder ist das Thema Börsengang erledigt?
Nein, ist es nicht. Wir haben die Größe und die Gewinnkraft, die man dafür braucht.
Welt am Sonntag: Sie schreiben schwarze Zahlen?
Im Kerngeschäft auf jeden Fall, und unser neuer Restaurantdienstleister Foodora funktioniert ebenfalls gut. Aber wir brauchen frisches Geld, um es in weitere Verbesserungen zu investieren. Wir müssen schneller werden und die Qualität des Essens weiter optimieren. Wir probieren vieles aus, manches funktioniert gut, anderes nicht so gut.
Welt am Sonntag: Wann kommt der Börsengang?
Wir haben keine Eile. Ob es im nächsten Jahr passieren wird? Gut möglich. Aber am Ende wird es davon abhängen, ob wir am Markt die Bedingungen finden, die unsere langfristige Vision stützen.
Welt am Sonntag: Zu den Dingen, die nicht so gut funktionieren, gehörte anscheinend der Versuch, in China Fuß zu fassen.
Unser China-Geschäft hat eine Weile gut funktioniert, aber dann hat sich das Umfeld drastisch verschlechtert. Riesige Player wie Alibaba sind als direkte Wettbewerber in den Markt gekommen und investieren gigantische Summen. Vor diesem Hintergrund haben wir vor einem halben Jahr beschlossen, uns aus China zurückzuziehen.
Welt am Sonntag: In der Türkei sind Sie dagegen noch präsent. Der Zukauf der Tochter Yemeksepeti dort für fast 540 Millionen Euro gilt als der bisher teuerste in der Branche. War er zu teuer?
Das Geschäft in der Türkei läuft gut. Wir wachsen dort schneller und bei niedrigeren Kosten als geplant, sodass die Marge sich gut entwickelt. Es war ein teurer Kauf, aber kein überteuerter. Was die jüngste politische Entwicklung in der Türkei anbetrifft, so berührt sie uns wegen der humanitären Aspekte, die damit verbunden sind. Das Geschäft wird davon aber nicht tangiert.
Welt am Sonntag: Noch einmal zurück nach Berlin. Haben Sie eine Küche zu Hause?
Sagen wir so: Ich benutze sie selten. So bleibt mehr Zeit zum Laufen.
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